Männlich, weiblich, divers – „gendersensible Medizin“ für alle

Nicole Braemer und Lisa Böhle vom Team Internationalisierung besuchten die Auftaktveranstaltung des Internationalen Frauentages in Hildesheim.

“Gendersensible Medizin ist mehr als nur ein Trend. Sie ist eine Notwendigkeit.“ Mit diesen Worten beendete Katina Bruns, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Hildesheim, ihre Begrüßung von rund 300 Teilnehmerinnen der Veranstaltung zum diesjährigen Frauentag im Großen Sitzungssaal des Kreishauses. Was bei der medizinischen Versorgung von Frauen immer noch im Argen liegt, sollte an diesem Abend von verschiedenen Seiten beleuchtet werden.

Nach dem musikalischen Auftakt von Vocal-Coach Julia Schönleiter, die das zu 99 Prozent weibliche Publikum zum gemeinsamen Singen motivieren konnte, gab es ein kurzes Podiumsgespräch mit Vertreterinnen aus lokaler Politik und Organisationen, das deutlich machte, wie wenig seit dem Aufkommen der Diskussion um die Gesundheitsvorsorge von Frauen geschehen ist.

Dass das Thema kein neues ist, zeigte Awa Naghipour, Ärztin und Wissenschaftlerin von der Universität Bielefeld, in ihrem Vortrag auf. Sie ging bis in die 1980er Jahre zurück, um die Anfänge der Frauenmedizin zu erläutern; machte aber zugleich klar, dass nicht nur Männer und Frauen in die Forschung inkludiert werden müssen, sondern auch alle anderen Menschen, die ihr Geschlecht alternativ dazu definieren. Es wurde deutlich, dass weder medizinische Studien noch Seminare für angehende Mediziner auf diese Diversität angemessen eingehen.

Die Medizin müsse, so Naghipour, ihre androzentristische Sichtweise aufgeben, d.h. die Norm vom weißen, gesunden, heterosexuellen, sozialökonomisch abgesicherten Mann mit der Durchschnittsgröße von 1,75 Metern und dem Durchschnittsgewicht von 80 Kilogramm. Frauen und divers gelesene Menschen sollten nicht einfach als Abweichung von dieser Norm betrachtet werden.Denn etwa bei der Dosierung von Medikamenten müssten individuelle Parameter viel stärker berücksichtigt werden.

Dass es nicht nur um medizinische Aspekte bei der Versorgung geht, veranschaulichte Naghipour anhand von konkreten Beispielen. Wenn ein Mann – etwa in der Notaufnahme einer Klinik – über starke Schmerzen in der Brust klagt, wird sofort ein Herzinfarkt vermutet. Bei einer Frau werden typische Symptome eines Herzinfarktes, die Frauen oft zeigen, wie Oberbauch – oder Nackenschmerzen, häufig ignoriert und die Patientinnen mit einer falschen Diagnose nach Hause geschickt.

Die Gesundheitsversorgung spielt allerdings laut Naghipour mit rund 25 Prozent eine weitaus geringere Rolle bei der Gesundheit eines Menschen. Viel relevanter sind sozioökonomische Faktoren wie etwa die allgemeinen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Gesellschaftsordnung, die Umwelthygiene und die Bildung.

Es geht also in der Medizin um die Berücksichtigung aller wichtigen Faktoren, v.a. jedoch um die Anerkennung der Relevanz von geschlechtersensibler Medizin, damit die gesamte Bevölkerung richtig behandelt werden kann. Dazu müssen Studien und klinische Tests, die verschiedene Geschlechter berücksichtigen, viel stärker gefördert werden und nicht zuletzt Forschungsprogramme und ihre Erkenntnisse stärker in die Ausbildung von Mediziner*innen einfließen.

Der aufschlussreiche Vortrag von Awa Naghipour, die Mitbegründerin des Vereins „Feministische Medizin“ ist, führte im Anschluss noch zu einem regen Austausch. Beendet wurde der Abend dann wieder musikalisch mit einer weiteren Gesangseinlage der Besucherinnen unter Anleitung von Schönleiter, bevor sich am Suppenbüffet gestärkt werden konnte.

Nicole Braemer