
Das Folgende ist eine Schilderung meiner Eindrücke und des Wissens, das ich hauptsächlich aus Gesprächen mit Menschen, die ich hier kennenlernen durfte, gewonnen habe und meinen Schlussfolgerungen daraus.
Island war schon immer ein Land, das ich mal bereisen wollte. Jeder mit dem ich über Island gesprochen habe, hat von dem Land und der Natur geschwärmt. Ich bin, um ehrlich zu sein, ziemlich unvorbereitet in diesen Auslandsaufenthalt gestartet. Naja, zumindest einen Reiseführer hatte ich mir vorher zugelegt. Es war spannend ohne Erwartungen und Vorbelastungen das Land und die Menschen auf mich wirken zu lassen. Obwohl mir dabei aufgefallen ist, dass ich doch gar nicht so vorurteilsfrei war, was ebenso spannend zu beobachten war.
Ich habe die drei Wochen, die ich hier sein durfte, versucht so viel wie möglich zu entdecken an Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Isländern und den Deutschen. Über ihre Art zu leben, zu denken und zu bauen. Die Probleme, mit denen sie beim Bauen zu kämpfen haben. Jedes Land und jede Kultur hat, glaube ich, ihre gesellschaftlichen Themen und Muster, an denen sie zu arbeiten haben, die teilweise bestimmt auch im Gegensatz zueinander stehen und die zu entdecken ich total gespannt war.
Das folgende ist ein Versuch, die Eindrücke die ich bekommen habe zu beschreiben.
Als ich das erste Mal in die Wohnung kam, in der ich die drei Wochen wohnen sollte, wurde ich total herzlich empfangen. Bára hat mir mein Zimmer gezeigt, einen Platz im Kühlschrank freigeräumt und alles erzählt, was gut zu wissen wäre. Erzählen klingt so ausfürlich, aber Bára spricht nur sehr gebrochen Englisch. Verständigen konnten wir uns trotzdem ganz gut, im Notfall gibt es ja immernoch Hände und Füße, wobei ich sagen muss, dass Geräusche immernoch am besten funktionieren. Besonders auf der Baustelle, wenn man den englischen Fachbegriff des Werkzeugs gerade nicht parat hat.
Ich fragte Bára nach dem Leitungswasser, ob es trinkbar ist. Sie ließ den Wasserhahn eine knappe Minute laufen, füllte dann ein Glas ab und hielt es mir stolz hin. „We have the best drinking water in the world!“. Lecker war es wirklich! Aber warum hat sie das Wasser so lange laufen lassen…?
Sie ging mit mir ins Badezimmer, zeigte mir die Dusche und versuchte mir zu erklären, dass ich nach dem warmen Duschen die Glaswand einmal mit kaltem Wasser abspühlen soll. Beim zweiten Anlauf habe ich es dann auch verstanden. Okay, also Dusche kalt abspühlen. Ihre Erklärung dazu war: „It´s better!“ Bestimmt damit das Glas nicht so kalkig wird oder so, sie wird schon ihre Gründe haben.
Aus Versuchen im Chemieunterricht in meiner Schulzeit kannte ich den nach faulen Eiern riechenden Schwefelgeruch noch und konnte ihn, als wir das erste Mal bei Thermalquellen waren einordnen. Das erste Mal duschen war trotzdem ziemlich hart, weil das heiße Wasser so extrem nach Schwefel gerochen hat, dass ich das Gefühl hatte im Anschluss dreckiger zu sein als vorher. Am schlimmsten war aber das Ausspühlen nach dem Zähne putzen. Der Wasserhahn stand noch auf Lauwarm und der Schwefelgeschmack traf mich ziemlich unvorbereitet. Soviel zu „The best water in the world“!
Ich habe ein paar Tage darüber nachgedacht. Ist das Leitungswasser wirklich trinkbar? Oder nur das Wasser in der Küche und nicht das im Bad? Aber das hätte mir Bára bestimmt gesagt. Ergibt ja auch keinen Sinn, dass sie unterschiedliche Anschlüsse im Haus haben. Die logische Erklärung, dass es der Unterschied zwischen Warm- und Kaltwasser ist, habe ich erst ein paar Tage später nach einigen Malen unangenehmen Ausspühlen nach dem Zähneputzen gelernt.
Bei einer Rundtour über die Baustelle mit Vignir und Fridrik, unsere Ansprechpartner in der Firma GG Verk neben dem Projektleiter Thor, haben wir viel über das Bauen in Island erfahren und auch über das Leitungswasser gesprochen. Auf Island kommt das Wasser aus Gletscherbächen und ist deswegen extrem gut.
Früher wurden die Warmwasseranschlüsse direkt aus den Thermalquellen (mit einem Qualitätscheck) in die Häuser gelegt. In vielen älteren Häusern ist das immer noch so, wie zum Beispiel in dem Haus von Bára. Es riecht stark nach Schwefel, ist aber unbedenklich. In neueren Häusern wird mittlerweile für das Warmwasser, kaltes Wasser mit Hilfe des warmen Thermalwassers aufgewärmt, um klares Warmwasser zu bekommen. In dem Appartement, in dem Luca und die anderen Jungs untergekommen sind, riecht das Wasser daher kaum, denn das Gebäude hat einen neueren Anschluss.
Vignir und Fridrik haben auch erzählt, dass in das Warmwasser teilweise Geruchsstoffe gemischt werden, weil es so heiß ist, dass es viele Unfälle damit gab. Bei Rohrbrüchen sind wohl schon einige Wohnungen quasi unbewohnbar geworden, weil das heiße Wasser alles kaputt gemacht hat und schwere Verbrennungen sind ebenfalls nicht selten.
Der Geruch war damit geklärt, warum ich die Dusche aber kalt abspühlen sollte noch nicht. Also habe ich Bára nochmal gefragt und ihre Erklärung war total einleuchtend: Die Schwefelanteile im Warmwasser sorgen dafür, dass sich das Glas mit der Zeit gelblich verfärbt. Da das kalte Wasser nicht schwefelig ist, spühlt sie die Dusche einmal damit ab.
Wasser kostet in Island quasi nichts. Das Kaltwasser wird über einen Pauschalbetrag pro Haus abgerechnet, zusammen mit der Grundsteuer. Und zum Warmwasser erzählte Fridrik, dass es so wenig kostet, dass er seinen Outdoor Wirlpool, der in 40 min voll ist ein ganzes Wochenende durchlaufen lassen kann und trotzdem noch weniger zahlt als für einen Burger.
Wenn Energie und Warmwasser so günstig sind, macht sich keiner Gedanken über das Dämmen oder Heizen von Häusern. Bei Bára ist zum Beispiel immer ein Fenster auf Kipp und die Heizung immer an. Auch Vignir und Fridrik erzählten, dass es egal ist wenn das Warmwasser vor dem Duschen mal eine halbe Stunde durchläuft. Und wenn es mal zu warm im Haus ist, wird nicht die Heizung runtergedreht, sondern die Fenster aufgemacht. Da habe ich erst gemerkt wie sehr wir, besonders momentan in Deutschland darauf getrimmt sind, so wenig wie möglich Wasser und Energie zu verbrauchen.
Und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, gibt es wohl mittlerweile Warnungen wegen knappem Wasser. Das liegt aber nicht am tatsächlichen Mangel, sondern am ungehemmten Verbrauch der Isländer.
Unter vielen Straßen oder in Vorgärten liegen Warmwasserleitungen, sodass man sich im Winter keine Gedanken übers Schneeschippen oder gefrohrene Straßen machen muss. Die Baustelle auf der wir sind, hat jetzt auch einen Warmwasseranschluss bekommen. Im Winter kann so einfach der Schnee mit warmem Wasser weggespühlt werden. Das wäre in Deutschland unvorstellbar, aber wer unbegrenzt warmes Wasser zur Verfügung hat, kann es natürlich auch für solche Spielereien nutzen.

Extremwetter nehmen auch hier zu. Letzten Winter hat es wohl wochenlang extrem viel geschneit. Vignir erzählte uns, dass sie teilweise schon am Rande der Verzweiflung standen, weil jeden Morgen erstmal ein paar Stunden Schnee weggeschaufelt werden musste, um überhaupt arbeiten zu können. Die Häuser waren noch in der Rohbauphase, weshalb es keine Arbeiten drinnen gab. Am nächsten Tag war dann wieder alles zugeschneit, den übernächsten und den darauffolgenden Tag ging es so weiter. Da wurde die Widerstandsfähigkeit der Isländer definitiv auf die Probe gestellt.
Eine andere Baustelle war zu dem Zeitpunkt gerade in der Fundamentphase. Da mussten sie unter den 1,5 m Schnee erstmal das Fundament wieder finden. Das sind Arbeitsbedingungen auf einem anderen Level. Wenn ich mir das vorstelle und dann überlege, dass Warmwasser quasi unbegrenzt verfügbar ist, würde ich mir auch einen Anschluss auf die Baustelle legen lassen.

Ich dachte die Isländer seien naturverbundene Menschen. Das sind sie bestimmt bis zu einem gewissen Grad auch. Ich war trotzdem sehr überrascht zu sehen, dass sie es in vielen Punkten nicht sind. Keine Mülltrennung, Betonbauten überall… Die Isländer sind ein Autovolk, der Nahverkehr ist schlecht ausgebaut. „Even if we had a good Bussystem, there is no chance you get the Icelanders to use it“. Der Satz ist mir noch länger im Kopf herumgeschwirrt, nachdem wir mit einem Arbeitskollegen über die miserablen Busverbindungen gesprochen haben. Es ist möglich, aber schon relativ aufwändig von etwas außerhalb in die Stadt zu kommen. Im Umland existiert kein Nahverkehr. Bei einer Bevölkerungsdichte von knapp 4 Menschen pro km² und 2/3 der 365.000 Inselbewohner, die im Großraum Reykjavik leben auch kein Wunder.
Als Inselstaat ist es wahrscheinlich nicht ganz einfach nachhaltig zu leben. So gut wie alles muss hier importiert werden, auch das Bauholz. So ganz bin ich durch die Bauthematik noch nicht durchgestiegen. Aspekte warum mit Beton gebaut wird sind zum Beispiel:
Häuser aus Beton sind relativ schnell, und ich denke auch relativ einfach, zu bauen. Sie sind langlebig und wartungsarm, was bei dem rauen Wetter definitiv ein Argument ist. Ein großes Problem ist hier tatsächlich der horizontale Schlagregen, der mit so viel Druck auf die Hauswände prasselt, dass sogar die kleinsten Risse im Beton zu Problemen werden können. Deswegen müssen alle Wände komplett abgedichtet werden. Das ist bei Beton einfacher als zum Beispiel bei Holzverkleidungen o.ä. Vermutlich ist das auch der Grund, warum die Blechverkleidungen hier so beliebt sind. Aber zurück zu den Betonbauten: Sie sind relativ schnell zu bauen, was momentan wichtig hier ist. Ich habe aus mehreren Ecken gehört, dass ganz viel gebaut werden muss und dass es riesige Projekte mit extrem vielen Appartements gibt. Das ist auch der Eindruck, den ich bekommen habe. Bei unseren Wochenendtouren sind wir an sehr vielen Baustellen vorbeigekommen, wo überall Betonhäuser aus dem Boden gestampft wurden. Der Tourismus in Island wird immer mehr. Im Sommer kommen über 2 Milionen Menschen nach Island. Die müssen auch irgendwo unterkommen und vor allem auch irgendwas essen. Das stellt die Isländer vor eine große Herausforderung, denn dann sind auf einmal mehr als 4 Mal so viele Menschen auf der Insel.
Was ich am Bauen mit Beton auch noch nicht so ganz durchblickt habe ist folgendes: Island ist eine Vulkaninsel, wo Erdbeben nicht gerade überraschend sind. Ein „Betonklotz“ ist bei einem Erdbeben, denke ich, relativ anfällig und potenzielle Schäden bestimmt nicht gerade einfach zu reparieren. Ist da ein Holzhaus, bei dem das Holz sich noch ein bisschen bewegen kann und die Schwingungen aufnehmen kann nicht viel interessanter? Ich habe diese Frage relativ vielen Menschen gestellt und eine Antwort war: Ja, es wäre definitiv sinnvoller, aber das Bauen mit Beton ist gerade ein Trend bei dem ganz viele Menschen mitmachen, ohne ihn wirklich zu hinterfragen.
Auf die Frage warum nicht mehr mit Holz gebaut wird erklärten uns Fridrik und Vignir, dass die Isländische Regierung sehr hohe Brandschutzauflagen hat, durch die keiner durchsteigt. Es gibt sie wohl nicht einmal in gedruckter Form, weil sich ständig irgendwas ändert. Es ist den meisten Menschen also zu kompliziert sich da durchwurschteln zu müssen.
Als wir einen Nachmittag an einer Baustelle vorbei gekommen sind, bei der große Hallen mit Holzbindern gebaut wurden, haben wir kurzerhand angehalten und Mal nachgefragt, wie kompliziert es ist bei diesem Bau die Brandschutzvorschriften einzuhalten. Die Antwort war ganz klar: Es ist viel aufwändiger bei einer Halle aus Metallträgern als bei Holzträgern. Bei den großen Holzquerschnitten muss keine Brandschutzfarbe mehr auftragen werden, das Metall hingehen muss mehrfach mit teurer Farbe gestrichen werden, was im Nachhinein die Kosten nach oben treibt. Es ist also ein sehr kontrovers diskutiertes Thema hier.
Spannend fand ich auch, dass es hier normal ist Wohnungen zu kaufen. Es wird kaum gemietet. Alle Wohnungen in den Häusern bei denen wir mitgebaut haben, werden für teures Geld verkauft, viele wohl auch an junge Menschen die das erste Mal kaufen. Das ist bei den Preisen, die wir an den Aushängeschildern gesehen haben schon wirklich sportlich.
Um nochmal auf den Nachhaltigkeitsgedanken zurück zu kommen: Ich glaube auch, dass das Thema der verborgenen Wesen mir den Eindruck einer umweltverbundenen Gesellschaft vermittelt hat. In Island ist der Glaube stark vertreten, dass es Wesen wie Elfen, Trolle, Feen gibt, die hier auf der Insel leben. Sie sind nicht unsichtbar, sondern Leibhaft und haben genauso das Recht hier zu leben, wie die Isländer. Sie werden respektiert und man will sie nicht verärgern. Es gibt Geschichten darüber, dass beim Bau von einer Straße Steine aus dem Weg gesprengt werden mussten, und auf einmal gar nichts mehr ging. Die Arbeiter wurden krank, Maschinen gingen reihenweise kaputt und es ging nicht weiter. Das waren Situationen in denen, ich nenne sie jetzt mal „Kommunikatoren“ gerufen wurden um mit den Wesen, die dort vermutlich leben, zu reden und zu verhandeln. Nicht selten wurden Straßen o. ä. um solche Stellen herumgebaut, um die Behausungen der verborgenen Wesen nicht zu zerstören.

Bei unserer Wanderung nach Reykjadalur, dem heißen Bach in den Bergen fiel mir auf, wie viele unterschiedliche Zustände von Wasser hier aufeinander treffen. Schnee und Eis in den Bergen und Gletschern, Wasserdampf und heiße Quellen, eiskalte Gletscherbäche. Und das alles koexistiert. Es ist wirklich das Land, in dem Feuer und Eis aufeinandertreffen!
Ich glaube aber, ich würde hier verrückt werden. Eine Insel, kaum Bäume, kahle Landschaft und sooo viel Dunkelheit im Winter. Um so mehr hat es mich überrascht, dass die Isländer auf der Liste der glücklichsten Länder auf Platz 4 stehen. Sie haben den Dreh wahrscheinlich raus sich um einander und um sich selbst zu kümmern. Die vielen Schwimmbäder bzw Thermen, die ein Ausgleich zum Arbeiten bieten, die bunt gestalteten Häuser, Streetart überall… Dazu kommt noch, dass die Isländer, so wie ich es erlebt habe, sehr willensstark und ausdauernd sind. Bei den vielen dunklen Tagen im Winter auch wirklich notwendig!


Eine wunderschöne Reise geht zuende und es bleiben ganz viele beeindruckende und einzigartige Eindrücke und ganz viel Dankbarkeit für die Menschen, die es mir ermöglicht haben diese Erfahrungen zu machen!
Vielen Dank!